Die Leute von Seldwyla

 

Band 1: 1856, Band 2: 1874

 

Die Sammlung von komischen Erzählungen geht auf erste Konzeptionen aus den Berliner Jahren zurück. Laut der Vorrede zum ersten Band von 1856 sind die Seldwyler ein gemütliches Völklein von wendigen Geschäftsleuten, bis sie Konkurs gehen und sich ins Private zurückziehen oder ihr Brot im Ausland suchen müssen. In politischen Dingen zeichnen sie sich durch ihre Wankelmütigkeit aus, aber bei allem Durcheinander bewahren sie sich ihre Lebenslust. Die Vorrede zum zweiten Band von 1873/74 hingegen sieht den Charakter Seldwylas grundlegend verändert: Die gemütlichen Geschäfte sind einer Spekulationslust gewichen, die Politik gilt als verpönt, dabei sind die Seldwyler «einsilbiger und trockener geworden; sie lachen weniger als früher und finden fast keine Zeit mehr, auf Schwänke und Lustbarkeiten zu sinnen».
Dieser Wandel widerspiegelt Kellers eigene Erfahrungen. Während er sich nach der Rückkehr aus Berlin mit Begeisterung ins das nationale Festleben mit seinen Eisenbahneröffnungen und Schützenfesten stürzt, bekennt er in einem Brief von 1883, dass ihm «die ewige Festbummelei anfängt die Freude an Land und Leuten zu verderben». Entsprechend wird seine Kritik an Zeit und Gesellschaft immer schärfer, der zeitgenössische Hintergrund der Novellen deutlicher, die Thematik ernster. Die Erzählungen des ersten Bandes handeln von individuellen Schicksalen, die teils autobiographisch gefärbt sind (Pankraz, der Schmoller; Frau Regel Amrain und ihr Jüngster), im Milieu der Bauern (Romeo und Julia auf dem Dorfe) oder der Handwerker (Die drei gerechten Kammmacher) angesiedelt sind oder gar ins Märchengenre hineinspielen (Spiegel, das Kätzchen). Die Erzählungen des zweiten Bandes zeigen das Auseinandertreten von Schein und Sein in durchwegs grellerem Licht. In Kleider machen Leute geht es um einen Fall von Hochstapelei, die von der getäuschten Gesellschaft noch gefördert wird, die Novelle Der Schmied seines Glücks ebenso wie Die missbrauchten Liebesbriefe handeln von fehlgeleitetem Geltungsdrang. In der Novelle Dietegen scheinen ein Knabe und ein Mädchen durch Recht und Schicksal füreinander bestimmt zu sein; aber im Bestehen auf dieser scheinbaren Fügung droht die Liebe zu scheitern, bevor sie durch die Besinnung auf die Kraft der Gefühle gerettet wird.  In Das verlorene Lachen muss das Liebespaar sowohl Krisen des geschäftlichen wie des religiösen Lebens überwinden, um wieder zu seinem Glück zu finden.
 

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