![[Kirchgasse 33, "Zum Steinhaus"]. [Zürich?], [circa 1915?]. Zentralbibliothek Zürich, Zürich C1, Obere Kirchgasse I, 2](https://gottfriedkeller-platform-prod.drei.io/static/entry-images/e101_1_medium.jpg)
Das mühsame Geschäft des Staatsschreibers
Kirchgasse 33
Im Steinhaus an der Kirchgasse 33 befand sich von 1803 - 1875 die Staatskanzlei (im 1. Stock) wie auch die Amtswohnung des Staatsschreibers (im 2. Stock). Gottfried Keller wohnte hier von 1861 - 1875. Bis 1863 lebten auch Kellers Mutter und die Schwester Regula hier, nach dem Tode der Mutter besorgte Regula den Haushalt allein. In der Staatskanzlei stöhnte der Dichter unter der Last der Amtsgeschäfte, die er doch fünfzehn Jahre lang auf sich nahm:
Jahr aus und ein sitzt man am stillen Schreibtisch und kämmt zerzauste Eisenbahnkonzessionen aus, oder paragraphiert Gesetzesentwürfe, wie sie aus den Zusätzen und Abstimmungen von einem oder zwanzig Dutzenden turbulenter Köpfe hervorgegangen sind, vielleicht in einem kurzen Jahrzehend zum zweiten und dritten Mal über denselben Gegenstand. Indem man die Promulgation des Neuesten besorgt und in dem abgegriffenen Handexemplar der Gesetzsammlung, das schon von den Randglossen entschlafener Vorgänger bedeckt ist, wieder Seite um Seite aufgehobener Bestimmungen durchstreicht, die man vor wenig Jahren vielleicht selbst in diesem papiernen Tempel aufgehangen hat, empfindet man nicht immer den rechten Respekt vor dem frischen Wehen des Lebens, dem stürmischen Vorschritt des Volkes, der solchen Wechsel bedingt. Der Schreiber fühlt sich nur als Danaide mit dem Wassersieb in der Hand, er sieht nur die Vergänglichkeit der Dinge, hört nur das Abschnarren eines Uhrwerkes, aus welchem die Hemmung weggenommen ist. [G. Keller, Autobiographisches, in: Die Gegenwart, Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Nr. 51, 1876, und Nr. 1, 1877]