J.J. Hofer, Übersichts-Plan der Gemeinde Oberstrass 1869. Zentralbibliothek Zürich, 4 Lp 56: 1

Eines Zeisigs Vogelsang

Ecke Vogelsangstrasse / Spyristrasse

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Als Martin Salander, der Held des 1886 publizierten gleichnamigen zweiten Romans von Gottfried Keller, nach siebenjährigem Aufenthalt in Brasilien vom neuen Hauptbahnhof den Weg zum Haus seiner Familie antritt, forscht er vergeblich "zwischen der rastlosen Überbauung des Bodens nach Spuren früherer Pfade, die sonst zwischen Wiesen und Gärten schattig und freundlich hügelan geleitet hatten. Denn diese Pfade lagen auch weiterhin unter staubigen, oder mit hartem Kies beschotterten Fahrstrassen begraben. Obgleich das Alles seine Bewunderung stetig erhöhte, war er endlich doch angenehm überrascht, als er unvermerkt, um eine Ecke biegend, sich in einen Häuserwinkel versetzt fand, den er augenblicklich an seiner verjährten ländlichen Bauart wieder erkannte. Die vorspringenden Dächer, das rote Balkenwerk, die kleinen Vorgärtchen waren die nämlichen, wie seit Menschengedenken." Seit Menschengedenken: Gottfried Keller war Zeuge eines grossen Brandes auf dem Hof Vogelsang am 27. April 1844, den er im Gedicht "Feuer-Idyll" verewigte. Ist der "Zeisig" im Roman das Camouflage-Wort für den realen "Vogelsang"? Jedenfalls lässt Keller die Erinnerung an das frühe Erlebnis in jedem Detail aufleuchten.

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"Das ist ja der Zeisig!" rief der Wandersmann, indem er stillstand und mit warmem Heimatgefühl die alte Lokalität betrachtete, "wahrhaftig der Zeisig! Im Zeisig, heisst es hier! Wer kann sagen, warum einem eine solche Sache und ein solches Wort während sieben Jahren nicht ein einziges Mal eingefallen ist, und haben wir doch als Schüler hier so schönen Apfelmost getrunken, wenn wir einen Batzen besassen! Und der alte Brunnen steht auch noch, mit welchem man den Zeisigbauer aufzog, dass er Most und Milch daraus speise!" In der Tat sprudelte aus der uralten Holzsäule das klare Bergwasser in denselben Trog, wie ehemals, und zwar durch den gleichen abgesägten Flintenlauf, der statt einer eisernen Brunnenröhre darin steckte. Diese Entdeckung erregte dem Mann eine neue Begeisterung. "Sei mir gegrüsst, ehrwürdiges Zeichen friedlicher Wehrkraft!" dachte er halblaut; "dies Rohr, das einst Feuer gesprüht, spendet das lautere Quellwasser für Mensch und Tier! Aber schon hängt in jedem Hause, wie ich vernehme, das gezogene Gewehr und harrt der ernsten Prüfung; möge sie der Heimat lange erspart bleiben!" [G. Keller, Martin Salander; Kap. 1]

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