
Jetzt ist's mir zu dick, ihr Lumpenpack, ihr Gauner!
Kreuzstrasse 46
In Cäsar Schmidts Führer "Zürich und seine Umgebungen" von 1876 wird die Wirtschaft zum Schwan wie folgt beworben: "5 Minuten von der Stadt, ohne zu steigen. 35 Fremdenzimmer und Salons ; grosser schattiger Garten ; ruhiger solider Ton im Hause, berühmte Küche. — Milchkur. 3 Minuten bis zur neuen Seebad-Anstalt im Seefeld." Das ursprüngliche Wohnhaus wurde ab 1842 als Gasthaus genutzt, ab 1899 als Pflegeanstalt. Am Vorabend seines Amtsantritts als Staatsschreiber, also am Sonntag, 22. September 1861, nahm Gottfried Keller hier an einem Nachtessen von deutschen Emigranten teil, das einen unheilvollen Verlauf nahm, wie schon Jakob Baechtold [in "Gottfried Kellers Leben. Zweiter Band 1850-1861", S. 320f.] berichtet. Während sich Lassalle, Herwegh, Freiligrath und viele andere mit den zum Teil Zigarre rauchenden anwesenden Damen sich beim Tischrücken und Magnetisieren vergnügen, schweigt Keller vor sich hin, bis ihm der Kragen platzt. Er steht zornentbrannt auf, zerschlägt Mobiliar und schreit: "Jetzt ist's mir zu dick, ihr Lumpenpack, ihr Gauner!" Adolf Muschg hat diese Episode zum Anlass einer dramatischen Studie mit dem Titel "Kellers Abend" (1975) genommen. Der Darsteller des Dichters hat keinen einzigen Satz zu sprechen. Muschg schildert jedoch sein Verhalten in einer langen Regieanweisung:
Herwegh geht einen Schritt auf Lassalle zu, es scheint, er wolle fallen; Lassalle fängt ihn auf; sie umfassen sich, bleiben so. Plötzlich ist Keller mit dem Stuhl da, zieht ihn hoch, schwingt ihn gegen Lassalle und Herwegh, schlägt zu, ohne zu treffen, schlägt jetzt auch nach den Räten, die eingreifen wollen, der Stuhl zieht ihn nach jedem Schlag ein Stück mit. Es herrscht eher Verlegenheit als Schrecken, endlich gelingt es den anwesenden Männern, Keller den Stuhl wegzuziehen, ihn selbst festzuhalten, es bildet sich eine Gruppe, halb aus Helfern, halb Kämpfern, in deren Mitte Keller verzweifelt um sich schlägt; schliesslich beruhigt sie sich, Herwegh, Rüstow, Lassalle haben Keller gefasst, die Räte können zurücktreten, tun es auch, klopfen sich die Hände ab, die Kleider; einen Augenblick ist Keller, der jetzt nicht mehr kämpft, unter Brüdern, die jetzt auch die Arme sinken lassen; neue Pause der Verlegenheit. LASSALLE fasst Keller an: Was ist das für ein sonderbarer Mensch? LUDMILLA: Das ist der Dichter des Grünen Heinrich! SUTER verschämt: Unser neuer Staatsschreiber.